Rebphysiologie
Der untypische Spätfrost 2011

Die "Eisheiligen", Kaltlufteinbrüche mit arktischer Polarluft, kamen 2011 um 10 Tage zu früh und uncharakteristisch. Die Frostgefahr der "Eisheiligen"entsteht normalerweise in klaren Nächten durch die nächtliche Abkühlung in Folge der übermäßigen Wärmeabstrahlung vom Erdboden.

In der Nacht auf den 4. Mai 2011 strömte ein Kaltluftkeil so schnell nach Mitteleuropa vor, dass es nicht zu einer allmählichen Auskühlung kam, sondern die frostige Luft geradezu hereinfloss. Dies erklärt auch die Frostschäden in den sonst nicht frostgefährdeten Weinbaulagen. Da die Reben zu diesem Zeitpunkt bereits mit 2 bis 5 Blättern ausgetrieben waren, wurden die jungen Triebe in einem sehr frostsensiblen Stadium „kalt erwischt“.

Die Intensität der Frostschäden war sehr unterschiedlich, abhängig von der Dauer und lokalen Ausprägung des Kaltluftstroms. Insgesamt waren die Frostschäden durch die fortgeschrittene Rebenentwicklung sehr hoch.
Deutlich wurde dies beispielsweise bei verschiedenen Rebsorten, wie es sich im Sortiment der LWG in der Lage Veitshöchheimer Wölflein feststellen ließ. Frostgeschädigte Triebe, die nicht abstarben, verloren oft ihre Gescheine, auch wenn diese nicht äußerlich sichtbar frostgeschädigt waren. Im Laufe der Vegetation erholten sich die Rebstöcke durch einen Neuaustrieb wieder etwas. Diese neuen Triebe konnten aber nicht die Fruchtbarkeit der abgestorbenen Blütenanlagen erreichen, jedoch die Ertragsverluste verringern.

Frostschäden 2011

In der Lage Veitshöchheimer Wölflein beispielsweise war die Rebenentwicklung der Norm um 14 Tage voraus. Nach dem Frost zeigten sich große Unterschiede zwischen den einzelnen Sorten. Ein Teil der Triebe war vollkommen abgestorben. Die durch Frost geschädigten Triebe verloren überwiegend ihre Gescheine, so dass bei Silvaner 18%, bei Riesling 30% und bei Müller-Thurgau 46% der Triebe als Frostausfall zu verzeichnen waren. Noch schlimmer waren die Frostschäden bei den Sorten Bacchus mit 86%, Merlot mit 76% sowie Portugieser mit 80%. Die nachtreibenden Triebe trugen im Herbst nur etwa zur Hälfte Trauben.

Grafik zu Temperaturen an verschiedenen Standorten in der Spätfrostnacht

Die Frostnacht

Grafik zu Frostschäden bei verschiedenen Rebsorten

Frostschäden je nach Rebsorte

Grafik zu überlebenden Gescheinen bei verschiedenen Rebsorten

Frostschaden an Gescheinen

Grafik zur Bildung neuer Triebe nach zwei Monaten

Zuwachs nach Frostschaden

Alle Triebe an einer Bogrebe durch Spätfrost braun

alle Trieb erfroren

Frostgeschädigte Triebe mit etwas grün

ein Hoffnungsschimmer grün

Gescheine durch Spätfrost erfroren an frostgeschädigtem Trieb

erfrorene Gescheine

teilweise erforener Rebtrieb

nicht alle Triebe komplett erfroren

Blatt und Geschein mit Frostschaden

Blatt und Geschein mit Frostschaden

gesunder, ungeschädigter Trieb direkt neben erfrorenem Trieb

gesund neben erfroren

Bewirtschaftungsversuch zur Minderung der Schäden

Einfluss auf den Austrieb von Beiaugen und schlafenden Augen

Bei den starken Schäden an den bereits weit ausgetriebenen Reben stellten sich Viele die Frage: Was kann ich tun? In einem Versuch wurde geprüft, ob Bewirtschaftungsmaßnahmen einen Einfluss auf den Augenaustrieb der Beiaugen, aber auch schlafender Augen, haben. Die Versuchsvarianten wurden wie unten stehend gestaltet.

Versuchsvarianten

  • Kontrolle
    • eine Bogrebe mit Zapfen
  • Ausbrechen
    • alle frostgeschädigten Triebe wurden von Hand abgebrochen
  • Abschneiden
    • alle frostgeschädigten Triebe wurden mit einer Schere auf kurze Stummel abgeschnitten
  • Zapfenschnitt
    • beide Ruten wurden am äußersten gesunden Trieb oder auf 4-äugigen Zapfen geschnitten
  • Frostrut
    • die Frostrute wurde niedergezogen
Bogrebe mit erfrorenen jungen Trieben

Kontrolle - Frostrute entfernt

erfrorener Trieb ausgebrochen, Beiauge sichtbar

Trieb ausgebrochen

Erfrorener Trieb abgeschnitten, Beiaugen unversehrt

Trieb abgeschnitten

Bogrebe und Frostrute auf Zapfen zurückgeschnitten, vereinzelt gesundes grün sichtbar

Rückschnitt auf Zapfen

Erfrorene Triebe auf Bogrebe und niedergezogener Frostrute

Frostrute wird niedergezogen

Ergebnis

Um nachvollziehen zu können, ob eine der Bewirtschaftungsmaßnahmen die Austriebsbereitschaft der Reben gefördert hat, wurden mehrere Bonituren durchgeführt. Beispielhaft zeigen die untenstehendenGrafiken den Neuaustrieb aus Beiaugen und schlafenden Augen. In allen Varianten trieben ca. 30% neue Triebe aus. Keine der Bewirtschaftungsmaßnahmen förderte oder hemmte den Neuaustrieb.
Beim Zapfenschnitt führte jedoch das teilweise Abschneiden der Bogrebe dazu, dass kein potentiell möglicher Beiaugenaustrieb mehr stattfand. Durch die Wegnahme von Augen war hier der geringste Anteil an grünen Trieben je Stock (3,8) feststellbar. Die übrigen Varianten wiesen dagegen im Mittel zwischen 6,2 bis 9,1 grüne Triebe je Stock auf. Spitzenreiter war die Variante mit niedergezogener Frostrute, bei der im Mittel 10,8 Triebe je Stock ausgetrieben hatten. Somit sollte man nach starkem Spätfrost zur Ertragssicherung alle angeschnittenen Ruten am Stock belassen. Der grausige Anblick erfrorener Triebe sollte nicht zu Aktionismus verleiten

Grafik zur Ausgangsschädigung durch Spätfrost in den Bewirtschaftungsvarianten zur Schadensminimierung

Ausgangssituation

Grafik zum Zuwachs nach Spätfrost in den Bewirtschaftungsvarianten zur Schadensminimierung

nach der Blüte

Spätfrost 2011_Grafik zu durchschnittlicher Augenzahl pro Stock mit Neuaustrieben

Augenzahl pro Stock

Qualitäts- und Reifeunterschiede nachgetriebener Trauben

In einem weiteren Versuch wurden die Ertrags- und Reifeparameter der normal verblühten Trauben und die der nachgetriebenen Trauben mit einer bis zu vier Wochen verzögerten Blüte untersucht. Hierzu wurden im Juli alle entwicklungsverzögerten Trauben markiert, damit zum Erntetermin eine eindeutige Unterscheidung möglich war.
Im Versuch lag das Ernteergebnis der normal verblühten (2603 kg/ha) und der spät verblühten Trauben (2630 kg/ha) auf gleicher Höhe. Nur durch die günstige Herbstwitterung war es überhaupt möglich, die Ernte der entwicklungsverzögerten Trauben vier Wochen nach der „ersten“ Ernte und bei hoher Ausreife durchzuführen.
In den Abbildungen sind das Mostgewicht, die Gesamtsäure und der ph-Wert der unterschiedlichen Reifestadien zu verschiedenen Erntezeitpunkten dargestellt. Man erkennt, dass bei entsprechend spätem Erntetermin dieselben analytischen Mostdaten erreicht werden konnten. Auch die Mineralstoffgehalte bewegten sich auf vergleichbarer Höhe. Nur eine schwächere Versorgung mit Stickstoff (NOPA, Arginin) wurde festgestellt. Dagegen zeigen sich deutliche Reifedefizite bei spät verblühten Trauben zum ersten Erntetermin.
Erste Verkostungen ließen keine gravierenden Qualitätsunterschiede bei angepasstem Erntetermin erkennen. Dagegen führten Verschnittvarianten, bei denen der Anteil noch unreifer Trauben 20% überschritt, zu einer deutlich negativen Beeinflussung der Weine.
Eine zeitlich gestaffelte Lese, die sich an der Reife der unterschiedlich entwickelten Trauben orientierte, erbrachte Moste von guter Qualität und sorgte für einen kleinen Ertragsausgleich in den stärker frostgeschädigten Flächen
Spätfrost 2011 _ Geiztrieb wird zu neuem Haupttrieb neben abgestorbenem alten Trieb

Geiztrieb wird Haupttrieb

Spätfrost 2011_ Fruchtbarer neuer Trieb neben erfrorenem Trieb

Fruchtbares Beiauge

Nach Spätfrost 2011 verschiedene Reifestadien der Trauben an einem Stock - Rebsorte Merlot

Mehrere Reifestadien an einem Stock

Spätfrost 2011 - Grafik zum Ertrag in der Sorte Bacchus mit Trauben von ersten Trieben und nachgetriebenen Trauben

Ertrag

Spätfrost 2011_ Grafik zu Mostgewichten bei Bacchus normale Trauben und nachgetrieben Trauben

Mostgewicht

Spätfrost 2011 - Grafik zur Gesamtsäure bei Bacchus normale Trauben und nachgetriebene Trauben

Gesamtsäure

Spätfrost 2011_ Grafik mit weiterer Mostanalytik zu Bacchus mit Vergleich normaler und nachgetriebener Trauben

weitere Mostanalysen