Held des Weinbergs
Täuschen für den Erfolg

Der Sommer ist die Zeit der Doldenblütler. Entlang von ungemähten Wegrändern, Wiesen und Brachen schweben die tellerförmigen und meist weißen Blütenstände hoch über dem Boden. Das üppige Blütenangebot stellt die Pflanzen vor eine essentielle Frage: wie gelingt es, aus der Blütenmasse herauszustechen, um die lebensnotwendigen Bestäuber anzulocken? Die Wilde Möhre (Daucus carota), die bevorzugt magere und trockene Standorte wie Wiesen, Wegränder und Brachen besiedelt, setzt hierbei auf einen Trick aus der Werbebranche.

Angebot und Nachfrage
Das Phänomen ist jedem bekannt: bleibt jemand vor einem Schaufenster stehen und interessiert sich augenscheinlich für die Angebote, zieht dies weitere Leute an. Auch wählt man aus einer Reihe von Straßencafés meist dies für seinen Cappuccino aus, indem bereits mehrere Plätze besetzt sind. Denn dort scheint es ja offensichtlich zu schmecken. Und genau diesen Trick der „zufriedenen Kunden“ setzt die Wilde Möhre in ihrem Werben um Bestäuber ein.
Bei der Wilden Möhre sind inmitten der weißen Blütendolde mehrere Einzelblüten lila bis schwarz gefärbt. Diese sogenannten Trugblüten sind Dreh- und Angelpunkt des Werbekniffs der Wilden Möhre. Da vorbeifliegende Insekten die Trugblüten als Blütenbesucher wahrnehmen, die bereits eifrig Nektar und Pollen futtern, landen diese ebenfalls an der vermeintlich gut besuchten Futterquelle. Mit diesem Werbetrick sichert sich die Wilde Möhre im sommerlichen Blütenmeer eine genügende Anzahl an Bestäubern.
Drei…zwei…eins…meins!
Die hohen Besucherzahlen der Möhrendolden zeigen, dass die Bestäuber-Werbung äußerst effektiv funktioniert. Unter anderem finden sich Fliegen, Mücken, Käfer, Wanzen und alle Arten von Wespen auf den Blütentellern ein, um ihre Energievorräte am Pollen und Nektar der unzähligen Einzelblüten der Dolde aufzufüllen. Einige Sandbienenarten ernähren sich sogar hauptsächlich vom Pollen der Wilden Möhre. Doch nicht nur Pollen und Nektar sind beliebt. Die Blätter und Pflanzenstängel der Wilden Möhre stehen bei Schwalbenschwanzraupen hoch im Kurs und zählen zu deren Lieblingsfutter.
Auffällig unauffällig
Die kräftige weiße Wurzel der Wilden Möhre hingegen wurde bereits von unseren germanischen Vorfahren in den Kochtopf gesteckt. Die Wilde Möhre zählt zu den drei Stammpflanzen der heutigen Gartenmöhre, die aus Kreuzungen mit afghanischen und mediterranen Möhrenarten entstand und dabei auch die charakteristische orange Farbe erhielt. Bei Verwendung der „Wilden“, sollte man die Wurzeln von einjährigen Möhren-Pflanzen ernten, da diese noch nicht verholzt und auch milder im Geschmack sind. Im ersten Jahr sind Wilde Möhren jedoch etwas schwierig zu erkennen, da oberirdisch nur eine Blattrosette am Boden gebildet wird. Der 30 - 80 cm hohe Pflanzenstängel mit den auffälligen Blütendolden „erscheint“ erst im zweiten Jahr.
Die Zurückhaltung der Wilden Möhre im Aussaatjahr kann jedoch für Irritationen bei der Ansaat von hochwertigen Blühmischungen für magere und trockene Flächen sorgen, in denen sie fester Bestandteil ist. Da nur die Blattrosette und noch keine Blüte gebildet wird, meinen manche, dass die Blühmischung nicht richtig „aufgeht“. Bei solchen Fällen empfiehlt sich etwas Geduld und nicht gleich frustriert den Boden umzuackern – im Folgejahr wird man mit einer blütenreichen Wiese belohnt.

Infobox – Doldenblütler
Viele unserer heimischen Gemüse- und Würzpflanzen (z.B. Dill, Fenchel, Koriander, Liebstöckel, Pastinake, Petersilie, Sellerie) gehören zur Familie der Doldengewächse (Apiaceae). Namensgebend ist hierbei die Gestaltung der Blütenstände, die meist als Doppeldolden ausbildet sind. Dies bedeutet, dass an einem Punkt mehrere Seitenachsen entspringen, die sich wiederum in mehrere blütentragende Seitenachsen verzweigen.
In der Heilkunde bilden Doldenblütler die Grundlage für ätherische Öle und werden bei Magen- und Darmbeschwerden (z.B. Fenchel, Anis, Kümmel) eingesetzt. Doch es gibt auch giftige Vertreter der Pflanzenfamilie. Berühmt ist der Gefleckte Schierling, den der zum Tode verurteilte Sokrates als Getränk („Schierlingsbecher“) zu sich nehmen musste.
Doldenblütler sind überwiegend krautige und mehrjährige Pflanzen, die Wuchshöhen von bis zu mehreren Metern erreichen können. Typischerweise sind die Pflanzenstängel knotig und hohl und bieten vielen Insekten als Ei, Larve oder Puppe ein hervorragendes Winterquartier. Aus diesem Grund sollte man Doldenblütler über den Winter stehen lassen und erst im Frühjahr mähen.