Held der Weinberge
Die Zauneidechse – Ortstreue Grenzgängerin

Ein sanftes Rascheln in der Streuschicht verrät die Anwesenheit einer Zauneidechse. Den raschen Lauf der Eidechse markieren die sich leicht bewegenden Grashalme. Ihre behände Fortbewegungsweise verhalf der Zauneidechse zu ihrem wissenschaftlichen Namen Lacerta agilis – die „flinke“ Eidechse. In den jeweiligen Landessprachen hingegen stehen die typischen Lebensräume der „Zaun“eidechse Pate. Besonders treffend: „Sandödla“ (schwedisch) und das französische „lézard des souches“, was „Eidechse der Baumstümpfe“ bedeutet.

Von allem „a weng“ (Übersetzung für Nicht-Franken: von allem ein bisschen)

Bei milden Temperaturen ein Sonnenbad im warmen Sand, bei zu großer Hitze Rückzug in den kühlenden Schatten. Was nach einem Urlaubstag klingt, beschreibt im Wesentlichen die Lebensraumansprüche der Zauneidechsen: strukturreiche Flächen mit exponierten Sonnenplätzen auf Steinen oder im Sand, um den Körper nach kalten Nächten aufzuwärmen (Bild 1) sowie schattige Bereiche und Versteckmöglichkeiten unter Holz oder Steinen während der Tageshitze – eben von allem ein bisschen. Weiterhin sind offene Sandflächen für die Eiablage wichtig.

Ursprünglich bewohnten Zauneidechsen halboffene Landschaften wie Magerwiesen, Heiden, Waldränder und Dünen. Da diese Flächen jedoch immer knapper wurden, eroberten die anpassungsfähigen Zauneidechsen intensiv genutzte Plätze wie Kiesgruben, Steinbrüche, Bauschuttdeponien oder Bahndämme. Wie der Name andeutet, sind Zauneidechsen auch gerne in naturnahen und abwechslungsreich gestalteten Gärten zu Gast. Hingegen wird man in monotonen „Stein- oder Rasenwüsten“ vergeblich nach den flinken Tieren Ausschau halten

Wichtig für eine erfolgreiche Ansiedlung der Zauneidechsen ist das Vorhandensein ihrer Beutetiere, wobei der Speisezettel sehr vielfältig ist (auch hier: von allem ein bisschen): u.a. Käfer, Wanzen, Ameisen, Heuschrecken, Zikaden, Spinnen und Regenwürmer landen zwischen den bezahnten Kiefern.
Doch auch die Zauneidechsen selbst sind begehrte Beutetiere. Elstern, Mäusebussarde, Eichelhäher, sowie Marder und Schlingnattern haben Eidechsen “zum Fressen gern“. Im Siedlungsbereich kommt die größte Gefahr für Eidechsen jedoch auf leisen Pfoten daher: unsere Stubentiger sind für hohe Verluste der Eidechsenpopulationen in den Gärten verantwortlich. Da Zauneidechsen nicht weit wandern, wirkt sich die Bejagung durch unsere Katzen besonders stark aus.

Eine Sollbruchstelle als Lebensversicherung

Bei so vielen potenziellen Räubern ist es gut, wenn man einen Trick auf Lager hat, dem gefräßigen Schnabel oder Maul zu entkommen. Zauneidechsen setzen hierbei auf Ablenkung. Bei einem Angriff können Zauneidechsen ihren Schwanz abwerfen, der sich mittels aktiver Nerven und Muskeln noch einige Minuten weiterbewegt. Der sich windende Schwanz zieht die Aufmerksamkeit des Räubers auf sich - die „restliche“ Zauneidechse kann entkommen.
Der Schwanzabwurf ist mittels sogenannter Sollbruchstellen möglich. Diese befinden sich ab dem 6. Schwanzwirbel abwärts in jedem Wirbel. An diesen Stellen ist das Binde- und Muskelgewebe nur schwach ausgebildet und kann somit leicht gekappt werden. Nach Abwurf müssen betroffene Zauneidechsen nicht zeitlebens mit „Stummelschwänzchen“ herumlaufen. Der Schwanz wächst langsam wieder nach. Jedoch als starrer Knorpelstab ohne Abwurfmöglichkeit und nicht mehr in der Farbenpracht des Originals. Doch der Ersatz ist wichtig, denn neben der Steuerung der Fortbewegung dient der Eidechsenschwanz als Energiespeicher.

Die Zauneidechse - Reptil des Jahres 2020 und 2021

Seit 2006 wird von der Deutschen Herpetologischen Gesellschaft (DGHT) das Reptil oder der Lurch des Jahres ausgerufen, um die Öffentlichkeit auf den Schutzbedarf der gefährdeten Tiere aufmerksam zu machen. Begleitet wird das jeweilige Wahltier des Jahres mit einer Aktions­broschüre, einem Faltblatt und Farbposter sowie einer internationalen Fachtagung zur gewählten Art.
2020 fiel die Wahl auf die Zauneidechse, die den Titel coronabedingt auch 2021 weiterträgt. In der Roten Liste Deutschlands (Stand 2009) wird die Zauneidechse in der Vorwarnliste geführt, doch in den letzten Jahren verringerten sich die Populationen der flinken Tiere kontinuierlich. In den regionalen Roten Listen vieler Bundesländer wird die Zauneidechse daher bereits als gefährdet bzw. stark gefährdet eingestuft. Auch weltweit wird auf die Gefährdung der Eidechsen hingewiesen. Der 14. August jeden Jahres ist Welttag der Eidechsen (World Lizard Day) mit vielen Aktionen rund um die Tiergruppe
Wie bei vielen Tier- und Pflanzenarten ist auch bei der Zauneidechse der beständige Verlust an geeigneten Lebensraum ausschlaggebend für den Rückgang. Dabei wäre der Schutz der Tiere auch für unsere Gesundheit wichtig. Denn Zauneidechsen können vor Ansteckung mit den von Zecken übertragenden Borreliose-Erreger schützen. Bei Zecken sind Zauneidechsen als Blutspender sehr beliebt. Häufig findet man mehrere Zecken auf einem Eidechsenindividuum, die sich in den dünnen Hautfalten zwischen den Echsenschuppen eingestochen haben (Bild 2). Doch Borreliose-Bakterien können sich im Eidechsenblut nicht vermehren. Das bedeutet, sticht eine borrelien-positive Zecke zuerst eine Eidechse und anschließend einen Menschen zum Blutsaugen, erkranken Letztere nicht an Borreliose

In der Weinberglandschaft lassen sich mit relativ geringem Aufwand geeignete Zauneidechsen-Lebensräume schaffen. Kleine Steinanhäufungen kombiniert mit offenem, sandigem Boden und eventuell noch etwas Totholz genügen (Bild 3). Wenn diese Eidechsen-Biotope im Randbereich der Weinberge oder auf ehemaligen Spitzzeilen-Flächen entstehen, wird die Zauneidechse ihrem wissenschaftlichen Namen alle Ehre machen und diese Bereiche „flink“ erobern.

Die Sache mit der Temperatur: gleichwarme und wechselwarme Tiere

Zauneidechsen sind wie alle Reptilien, Amphibien, Fische, Insekten und die weiteren wirbellosen Tiere wechselwarm (exotherm). Dies bedeutet, die Körpertemperatur ist abhängig von der Umgebungstemperatur und wird nicht auf einem konstanten Niveau gehalten. Daher nutzen wechselwarme Tiere die Sonnenwärme, um ihren Körper auf „Betriebstemperatur“ zu bringen. Bei großer Hitze hingegen werden zur Abkühlung schattige Orte aufgesucht. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist die wechselwarme Lebensweise äußerst vorteilhaft. Da keine Energie aufgewendet werden muss, um den Körper konstant warm zu halten, ist der Stoffwechsel sehr niedrig. Die ständige Nahrungszufuhr zum Energiegewinn entfällt. Auch das „Anfuttern“ einer isolierenden Fettschicht vor einer Kälteperiode ist nicht nötig, da wechselwarme Tiere bei extremer Kälte in eine Kältestarre fallen, wobei der Stoffwechsel fast vollständig heruntergefahren wird.

Den Gegensatz zu den wechselwarmen Organismen bilden die gleichwarmen (endothermen) Säugetiere und Vögel. Deren Körpertemperatur wird unabhängig von den äußeren Bedingungen auf einem bestimmten Wert einreguliert (auch wenn man im Winter bei kontinuierlich kalten Füßen etwas anderes vermutet). Die Aufrechterhaltung der inneren Temperatur erfordert viel Energie, weswegen dem Körper ständig energiereiche Nahrung zugeführt werden muss. Der Vorteil der „verschwenderischen“ gleichwarmen Lebensweise: man kann auch bei ungünstigen äußeren Bedingungen aktiv sein und die vor Kälte klammen wechselwarmen Tiere sind dann leichte Beute.

Übrigens die Bezeichnungen Kalt- bzw. Warmblüter bei Pferden hat nichts mit der Körpertemperatur (die liegt bei ca. 38 °C) zu tun, sondern beziehen sich auf das Naturell und den Körperbau der Tiere. Die kräftig gebauten Kaltblüter haben ein gutmütiges Temperament. Sie wurden bevorzugt als Arbeitspferde in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt. Die schlankeren und zierlicheren Warmblüter sind schnelle und wendige Reit- und Kutschpferde und temperamentvoller als die sanften Kaltblütler.