Biodiversität
Natürliche Vielfalt dank Querterrassen im Weinberg
(© Karl Josef Hildenbrand)
Steillagen prägen in vielen Weinbaugebieten die Kulturlandschaft der Region. Die extremen Produktionsbedingungen führen jedoch häufig zur Aufgabe dieser Reblagen. Durch die fehlende Bewirtschaftung verbuschen die Flächen, Heckenpflanzen und Bäume setzen sich durch. Damit geht ein besonderer Lebensraum für viele an diese trocken-heißen, also xerothermen Bedingungen angepasste Lebewesen verloren. Pflanzen verschwinden und für viele charakteristische Tiere schrumpft der Lebensraum. Eine Alternative kann hier die Querterrassierung dieser Weinlagen darstellen. Der Weinbau findet wieder gute Produktionsbedingungen und gleichzeitig bieten die Böschungen und Terrassen vielen Pflanzen und Tieren den notwendigen speziellen Lebensraum.
Die Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau setzte an einem Weinberg, der an seinem unteren Ende von einer Mauer abgeschlossen war, diese Möglichkeit zur Erhaltung des Weinbaustandortes um.
Im September 2013 wurde am Thüngersheimer Scharlachberg eine Fläche von 1,3 Hektar auf Terrassen mit rund 1,80 Meter Höhe und rund 2 Meter Breite umgestaltet. Eine spezielle an trockene Standorte angepasste Begrünungsmischung schützt vor Erosion. Die Mischung enthält auch Pflanzen aus dem natürlichen Umfeld, wie Weiße Lichtnelke, Kalkaster, Großblütige Braunelle, Goldaster, Klatschmohn, Leindotter und Wegerich. Der Böschungsfuß und Wegbereich blieb weitestgehend offen.
Positive Entwicklung der Pflanzenvielfalt
In den ersten beiden Jahren konnte sich die gewünschte Begrünung noch nicht etablieren, da der durch die Grabarbeiten mobilisierte Stickstoff vor allem die Gräser förderte. Das zweite Jahr war für die Begrünung eine besondere Herausforderung, da es extrem heiß und trocken war. Im dritten Jahr hat sich die Begrünung an diesem Standort bereits gut etabliert. Inzwischen setzt sich zunehmend die erwünschte, vielfältig blühende und die Böschung stabilisierende Begrünung durch.
Im Sommer des Pflanzjahres
Seltene Tierarten sind heimisch
Bereits im ersten Sommer nach Anlage der Terrassen konnten zahlreiche Tierarten mit einer Vorliebe für trockene, heiße Standorte beobachtet werden. Der hier entstandene Biotopkomplex aus offenbodigen Geröllflächen neben schwach bewachsenen, trockenrasenähnlichen Standorten und ökologisch bewirtschafteten Rebzeilen erfüllte bereits in den Sommern der Jahre 2014 und 2015 die Voraussetzungen an den Lebensraum für eine Vielzahl dieser wärmeliebenden Tiere.
In den blütenreichen Sommermonaten entdeckten die Biologen der LWG eine besondere Vielfalt an Wildbienen, Hummeln und Wespen sowie Käfern, Wanzen und auf Beute lauernde Spinnen. Darunter sind einige seltene und für die Region bedeutungsvolle Arten.
Blaue Holzbiene (Xylocopa violacea)
Rotbandspanner (Rhodostrophia vibicaria)
Rote Mordwanze (Rhynocoris iracundud)
Gehöckerte Krabbenspinne mit Beute
Feld-Sandlaufkäfer (Cicindela campestris)
Schmetterlinge
Auffällig sind die von Blüte zu Blüte schaukelnden Tagfalter, die in großer Vielfalt in der Begrünung unterwegs sind. Besonders die großen Falter wie der auf der Vorwarnliste der Roten Liste stehende Schwalbenschwanz, aber auch der stark gefährdete Segelfalter und zahlreiche Bläulinge wie beispielsweise der gefährdete Argus-Bläuling lassen sich gut beobachten.
Schwalbenschwanz (Papilio machaon)
Segelfalter (Iphiclides podalirius)
Argus-Bläuling (Plebejus argus)
Dunkelbrauner Bläuling (Aricia agestis)
Kaisemantel (Argynnis paphia)
Heuschrecken
Die Heuschrecken sind mit zahlreichen Arten vertreten. Die meist gut getarnten Tiere werden leicht übersehen, obwohl einige von ihnen sogar zu raren Besonderheiten zählen, wie beispielsweise Gestreifte Zartschrecke und Zweipunkt Dornschrecke. Als absolutes Highlight fanden Biologen auf der gesamten Fläche in allen bisherigen Beobachtungsjahren eine beeindruckende Anzahl der Rotflügeligen Ödlandschrecke. Diese Heuschreckenart ist auf steinigem Boden nur schwer zu erkennen, fliegt jedoch bei drohender Gefahr kurz auf und lässt dabei ihre kräftig rot gefärbten Hinterflügel aufblitzen. Die Muschelkalkstandorte Unterfrankens sind einer der wenigen und damit wichtigsten Verbreitungsstandorte für diese Art, die deutschlandweit als vom Aussterben bedroht gilt.
Gestreifte Zartschrecke (Leptophyes albovittata)
Zweipunkt Dornschrecke (Tetrix bipunctata)
Rotflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda germanica)
Rotflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda germanica)
Der durch die LWG künstlich erstellte Lebensraum in Form eines terrassierten Weinbergs und sein Erhalt als Kulturfläche in dieser Form mit einer ökologischen Bewirtschaftung hat die Ausbreitung der genannten Arten erst möglich gemacht.
Fazit
Am Beispiel der Rotflügeligen Ödlandschrecke lässt sich sehr gut erkennen, dass eine vielfältige Kulturlandschaft nur durch eine entsprechende Bewirtschaftung erhalten werden kann. Dies gilt im Besonderen für Extremstandorte, wie die Steillagen im Weinberg, die derartige biologische Einzigartigkeiten beherbergen können. Wie wichtig Mischbiotope aus an den Standort angepasster Begrünung und offenen sowie steinigen Flächen sind, sieht man an der Ödlandschrecke, die äußerst empfindlich auf eine Veränderung ihres Lebensraumes reagiert. Die Eiablage erfolgt immer in den Bereichen des offenen, warmen Bodens in die Erde oder unter Steine, wo das Ei auch überwintert. Für die Entwicklung der Larven sind dann wiederum die krautigen Pflanzen der Begrünung notwendig. Wenn die offenen, steinigen Bereiche vergrasen und zuwachsen, bedeutet diese Sukzession der Offenbodenbiotope mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende dieser außergewöhnlichen Population. Dies gilt ebenso für alle anderen seltenen Arten die auf xerotherme Standorte angewiesen sind. Die richtige Bewirtschaftung gekoppelt mit einem überlegten Begrünungsmanagement und Pflege der offenen Bodenbereiche, ist daher zur Erhaltung dieses sich immer weiter entwickelnden Habitats notwendig.
Extrainfo
Diese Maßnahme erfolgt im Rahmen des Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutz (NAP) zur Erhaltung der biologischen Vielfalt.