Pressemitteilung - 21. November 2023
Neue Wege zu mehr Biodiversität im Weinbau: Landwirtschaftliche Nutzung und Biodiversitätsförderung sind kein Widerspruch
Was 2014 behutsam im Kleinen begann, hat mittlerweile Vorbildcharakter für den Fränkischen Weinbau: Im Thüngersheimer Scharlachberg wurde zunächst eine Direktzuganlage in eine Querterrassierung umstrukturiert. Um die Böschung zu befestigen, kam dann eine spezielle Saatgutmischung zum Einsatz, die an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) entwickelt wurde. Im folgenden Jahr begleitete eine Vielzahl an Heuschrecken, Schmetterlingen, Hummeln, Wildbienen und sogar eine Schlingnatter, die die trocken-warmen Böschungen besiedelten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Arbeit in der Querterrasse. Aber in den benachbarten Rebanlagen des Scharlachbergs war vom vielfältigen Gewimmel nichts zu bemerken – und so begannen die Überlegungen, wie der Spagat zwischen Biodiversitätsförderung und Wirtschaftlichkeit im Weinbau gelingen könnte.
Biodiversitätsförderung als Arbeitserleichterung
Die gute Nachricht: Ein Spagat oder sonstige Verrenkungen sind gar nicht nötig. Im Gegenteil: Bei einigen Maßnahmen kann wertvolle Arbeitszeit eingespart werden. Ein Beispiel sind die horizontalen Saumstrukturen Vorgewende und Wegrand. Anstelle des häufigen Mulchens wird der Aufwuchs maximal ein bis zwei Mal im Jahr gemäht. Auf diese Weise kann sich ein blütenreicher Saum entwickeln. Damit wird nicht nur das Pollen- und Nektarangebot in den Weinlagen erheblich gesteigert, sondern extensiv gepflegte Wegsäume sind auch regelrechte Wanderrouten für Insekten, die auf diesen „Wegen“ weitere Habitate erreichen können. Ein weiteres Beispiel ist die Umwandlung arbeitsintensiver Spitzzeilen in Brach- oder Blühflächen. Damit entfiel die aufwändige Bearbeitung der kurzen Zeilen. Stattdessen entstanden viele kleinflächige Trittsteinbiotope in der gesamten Weinberglage. Die Verbindung dieser „Oasen“ untereinander gewährleisten die extensiv gepflegten Wegsäume.
Lebensadern aus Stein
Meist wurden Weinberge auf kargen und sehr steinigen Böden gepflanzt, da auf diesen Böden keine andere landwirtschaftliche Nutzung möglich war. Doch Steine stören die Bewirtschaftung, daher sammelte man diese mühsam vor Pflanzungen ab. Größere Steine wurden in Form von Trockenmauern zur Hangbefestigung verwendet. Alle weiteren bildeten als „Abfall" die typischen vertikal verlaufenden Steinriegel oder Steinschütten. Die für die Weinbäuerinnen und -bauern wertlosen Strukturen erwiesen sich für viele Tiere als ideale Rückzugs-, Jagd- und Überwinterungsmöglichkeit, da sich sonnige, trockene und warme, sowie kühle, schattige und feuchte Plätze eng nebeneinander befinden. Im Zuge der Flurneuordnungen verschwanden viele dieser wichtigen Lebensräume. Daher wurde im Scharlachberg wieder ein Steinriegel angelegt. Dieser verbindet eine oberhalb verlaufende Trockenmauer mit einem talwärts gelegenen anstehenden Felsen. Und die steinerne Lebensader verdient ihren Namen zurecht – dies zeigt das Vorkommen einer seltenen Heuschreckenart. Die Rotflügelige Ödlandschrecke kam zunächst nur in dem Bereich der oberen Trockenmauer vor. Dank der Steinschütte springt sie mittlerweile in der gesamten Weinlage herum.
Eine bunte Mischung
Neben selten gewordenen Heuschreckenarten kann man im Scharlachberg auch weitere Raritäten wie Segelfalter und Schwalbenschwanz regelmäßig beobachten. Durch diese Erfolge ist klar: Das Konzept „Weinbau 2050 – Neue Wege zu mehr Biodiversität im Weinbau“ geht auf. Und nicht nur Raritäten sind im Scharlachberg zu entdecken: Eine Vielzahl an Wildbienen, Schmetterlingen und sonstigen Krabbeltieren bevölkert die Blüh- und Brachflächen, die mit Wiesensalbei, Dost, Wilder Möhre und Natternkopf gut bestanden sind.
Weitere Maßnahmen im Scharlachberg umfassen die Pflanzung von Einzelbäumen, das Auslegen von Totholz und die Schaffung von Nistmöglichkeiten für Vögel und Fledermäuse. Seitdem gilt für eine Vielzahl an wärmeliebenden Tieren und Pflanzen: Willkommen zurück in der Weinkulturlandschaft!