Fachartikel
Grüne Klimafassaden für die Praxis

Grüne Klimafassaden für die Praxis - Klima-Forschungs-Station, Mai 2018_1

Im gemeinsamen Forschungsprojekt haben es sich die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG), Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau, und das Bayerische Zentrum für Angewandte Energieforschung e. V. (ZAE Bayern) zum Ziel gesetzt, Vertikalbegrünungskonzepte umzusetzen und grüne Klimafassaden zu schaffen.

2018

Klimahäuser und Klimagärten

Ziel der Untersuchungen an den Fassadenprüfständen der Klima-Forschungs-Station ist es, Best-practice-Beispiele zu schaffen und aufzuzeigen, wie die Zusammenarbeit zwischen Hochbau und GaLaBau aussehen sollte, um gemeinsam erfolgreich Vertikalbegrünungskonzepte umzusetzen und grüne Klimafassaden zu schaffen. Beide Versuchspartner legen ihr Augenmerk nicht nur auf die eigenen Schwerpunkte, sondern auch und vor allem auf die Vernetzung zwischen Gebäudefassade und Begrünung
Die Klima-Forschungs-Station ist derzeit in die Landesgartenschau Würzburg 2018 integriert. Die Klimahäuser mit den Fassadenprüfständen können vor Ort besichtigt werden, somit wird dieses aktuelle Forschungsfeld für die Besucher live erlebbar. Umgeben werden die Klimahäuser von Klimagärten und einem Klimaforum, welches als Informationsplattform dient. Die Klimagärten bestehen aus potentiellen Stadtbäumen der Zukunft, trockenheitsresistenten Pflanzungen, Versickerungsmulden und pflegereduzierten Freiflächen. Auf den Dachflächen der Klimahäuser wird sowohl die extensive als auch die intensive Form der Dachbegrünung demonstriert. Vor einer Fensterfläche wird ein beweglicher Sonnenschutz in Form eines begrünbaren Lamellensystems vorgestellt (Produktname: CityLam). Auch im Wegebau gibt es Möglichkeiten das Stadtklima zu verbessern, indem die Pflastersteine der Klima-Forschungs-Station nicht nur Wasser versickern, sondern eine Weile im Steininnern speichern und anschließend wieder verdunsten. An unseren Aktionstagen bieten wir vor Ort zu all diesen Themen umfassende Information und Beratung. Auch Schulklassen können die Klima-Forschungs-Station besuchen und sich über die Stadt der Zukunft informieren.
Während die Begrünung von Dächern heutzutage schon sehr gut funktioniert und spannende Ansätze bietet (z.B. Retentionsdächer oder in Kombination mit Solarpaneelen), wird die Fassadenbegrünung häufig kritischer gesehen. Bodengebundene Systeme mit rankenden oder schlingenden Pflanzen stellen eine bewährte Form der Fassadenbegrünung dar, brauchen aber verhältnismäßig lange, bis sie größere Flächen annähernd deckend überwachsen. In den letzten Jahren ist man unter anderem deshalb immer mehr dazu übergegangen wandgebundene Systeme einzusetzen, also Systeme, die unabhängig von einem Bodenanschluss sind.
Schweißarbeiten an den beweglichen Rahmengestellen durch einen Mitarbeiter der LWG.

Schweißarbeiten

Mitarbeiter des Instituts für Stadtgrün und Landschaftsbau transportieren die fertiggestellten und verzinkten Rahmengestelle an die Fassadenprüfstände der Klima-Forschungs-Station.

Aufbauarbeiten

Die Fassadenprüfstände der beiden Klimahäuser sind unterschiedlich aufgebaut. Während in südlicher Ausrichtung eine schaltbare Wärmedämmung zum Einsatz kommt, wird in westlicher Ausrichtung passive Erdwärmenutzung in Form von Wärmerohren erprobt (Bildquelle: ZAE).

Klimahäuser

Bei einer integriert vernetzten Fassade werden die einzelnen Bestandteile nicht nur nacheinander aufgebracht, sondern von Beginn an gemeinsam geplant und umgesetzt, damit sie sich positiv ergänzen und eine grüne Klimafassade bilden.

Fassaden-Systematik

Praktikable Begrünungslösung?

Vertikale Begrünungssysteme werden mit innovativen Fassadenmaterialien wie zum Beispiel einer schaltbaren Wärmedämmung kombiniert. Für den entstehenden Zwischenspalt zwischen Begrünung und Gebäude sind verschiedene Abstände einstellbar, um die passende Hinterlüftungssituation herauszufinden, die je nach Systemaufbau für ein optimales Mikroklima an der Fassade sorgt. Die Begrünung inklusive Bewässerungssteuerung wird direkt vom Gebäude aus mit Wasser und Strom versorgt. Kontinuierlich werden Umweltdaten, beispielsweise Temperatur und Luftfeuchte, an eng gestaffelten Messpunkten erhoben, wodurch eine anschließende fundierte Beurteilung der jeweilig getesteten Klimafassade möglich wird.
Die Anbringung eines wandgebundenen Begrünungssystems erfolgt meist über eine Unterkonstruktion mit einem Abstand zur Gebäudefassade, der sich aus dem Systemaufbau und aus den individuellen Erfahrungswerten der Systemhersteller ergibt. Da im Forschungsprojekt verschiedene Abstände getestet werden, wurden am Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau bewegliche Rahmengestelle konzipiert und gebaut, in die sich die Begrünungssysteme einhängen lassen. Diese Gestelle lassen sich auf Schienen bewegen und werden je nach Versuchsfrage in verschiedenen Abständen zur Gebäudefassade arretiert.
Bei den eingehängten Begrünungssystemen wird ein flächiges Vliessystem (Vertiko GmbH) einem trogförmigen Rinnensystem (grünwand klimafassade, Tech Metall Erzeugungs- und Handel u. Montage GesmbH) gegenübergestellt. Beide Systeme haben sich in den letzten Jahren als wandgebundene Fassadenbegrünung bewährt und gute Ergebnisse erzielt – sowohl unter ästhetischen als auch unter versorgungstechnischen Aspekten. Jetzt gilt es herauszufinden, ob diese Systeme bei identischer Bepflanzung das Mikroklima an der Fassade auf gleiche Weise beeinflussen oder ob es Unterschiede gibt. Vielleicht stellt sich heraus, dass bei einer Variante der optimale Abstand zur Fassade möglichst klein sein sollte, während beim anderen System ein weiterer Hinterlüftungsspalt von Vorteil ist, weil verstärkte Luftbewegung die Transpiration, also die Verdunstung durch Pflanzen begünstigt. Auch die Kombination mit einer schaltbaren Wärmedämmung oder Erdwärmenutzung in der Fassade bietet spannende Ansätze für eine integriert-vernetzte Fassadensystematik, bei der alle Bestandteile optimal als grüne Klimafassade zusammenwirken.

Pflanzenauswahl und Bewässerung

Die standortgerechte Pflanzenauswahl der Klima-Forschungs-Station berücksichtigt die südliche und westliche Exposition der Fassadenprüfstände. Das Artenreservoir umfasst insgesamt 12 Pflanzenarten mit vergleichbar hohem Wasser- und Nährstoffbedarf. Es wurden sowohl immergrüne als auch laubabwerfende Pflanzen eingesetzt. Dies ermöglicht eine partielle ganzjährige Begrünung. Damit können auch winterliche Eigenschaften von Begrünung, zum Beispiel ein zusätzlich isolierender Effekt, untersucht werden. Was die allgemein mögliche Pflanzenauswahl für wandgebundene Fassadenbegrünung angeht, wurden schon viele Arten getestet. Einen nützlichen Überblick bietet hier zum Beispiel der Leitfaden „Gebäude Begrünung Energie – Potenziale und Wechselwirkungen“ aus der FLL-Schriftenreihe.
Die Bewässerung der wandgebundenen Begrünungssysteme an der Klima-Forschungs-Station wird in mehreren Kreisläufen gesteuert, sodass jeder der vier Fassadenprüfstände einzeln angesteuert werden kann. Es handelt sich bei dieser Art der automatischen Bewässerung um ein geschlossenes System. Das bedeutet, dass überschüssiges Wasser unterhalb der Begrünung wieder aufgefangen und in ein Wasserreservoir in Form einer Zisterne zurückgeführt wird. Dadurch wird im Gegensatz zu einem offenen System Wasser wiederverwendet und somit eingespart. Diese Handhabung macht vor allem für das flächige Vertiko-System Sinn, weil die Vliese das Wasser zwar gut verteilen, es aber nicht lange speichern können. Abhängig davon, wieviel in die Zisternen zurückläuft, werden diese vom Gebäude aus nachgespeist, sodass immer ausreichend Wasser zur Verfügung steht. Von den Zisternen aus wird das Wasser durch die Bewässerungssteuerungen gepumpt, dort je nach bestehenden Konzentrationen mit Dünger versetzt, und dann wieder zur automatischen Bewässerung der einzelnen Fassadenprüfstände eingesetzt. Für die Bewässerungsmengen und -zeiten werden grundlegende Einstellungen vorgenommen. Je nach vorher festgelegten Schwellenwerten (z.B. Temperaturmaxima und -minima, Niederschlagsverlauf der letzten Tage, Niederschlagswahrscheinlichkeit, relative Luftfeuchte) wird die Bewässerung automatisch reguliert. Vor allem in der Anfangsphase direkt nach der Installation einer wandgebundenen Begrünung ist es wichtig, dass vor Ort kontrolliert wird, ob die Leitungen dicht sind und die Einstellungen der Steuerung zu den aktuellen Rahmenbedingungen am Standort der Begrünung passen. Und auch zu späteren Zeitpunkten sollten regelmäßige Kontrolltermine stattfinden, um rechtzeitig und adäquat auf veränderte Rahmenbedingungen oder Missstände reagieren zu können.