Joseph Stein, Landratsamt Berchtesgadener Land
„Gibst ihnen die Möglichkeit, dass sie hier wurzeln" - Sepp Heringer ist „Gartenphilosoph" und Organisator des Weltgarten in Laufen. Hier bringt er nicht nur begeisterte Gartler zusammen, sondern engagiert sich damit auch für die Integration neuer Mitbürger, seien sie aus anderen Ländern, Kulturkreisen oder auch nur aus einer Großstadt ins schöne Berchtesgadener Land gezogen. Jeder ist willkommen und darf anpacken. Im Interview mit Sepp Stein, Kreisfachberater für Gartenbau und Landschaftspflege, erklärt er, warum er die Welt als einen einzigen großen Garten betrachtet.
Mein erster Bezug zum Garten war ein kleines Beet, das war noch als kleiner Bub in der Kriegszeit. Da hat mir meine Mutter gesagt: „Sepp, bau wos oh, und für jeds Radieserl griagst an Pfenning“. Da hab ich natürlich gleich losgelegt und das war der Einstieg in den Gartenbau. Später habe ich dann Stauden- und Landschaftsgärtner gelernt. Nach ein paar Lehr- und Wanderjahren in Europa habe ich in Weihenstephan Obst- und Gemüsebau studiert. Nach einer Zeit wurde mir das aber unangenehm. Die ganze Begifterei, der Umgang mit Herbiziden, den ich von der Pike auf lernte, wurde mir zu viel. Irgendwann ist mir aufgegangen – das stimmt so nicht. In den frühen 60er Jahren habe ich deshalb fast meinen Beruf aufgegeben.
Dann wurde ein neuer Studiengang an der TUM eingeführt: „Landschaftsökologie“. Was ist denn das, Landschaftsökologie…ah ja, da geht es um den großen Garten der Natur. Damals kannte kaum jemand das Wort Ökologie. Mir hat es den Blick geöffnet, dass ich diese Welt am besten als Garten sehe - das ist bis heute für mich Weltanschauung und Lebensinhalt geblieben: Dieser Garten, den man pflegen muss, der produktiv ist, der seine eigenen Gesetze hat und man tut gut daran, sich diesen Gartengesetzen zu unterwerfen. Man kann mitspielen, aber man muss wissen, wer hinter all diesen Naturgesetzen steht.
Und diese Gesetze habe ich dann 28 Jahre an der Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege in Laufen gelehrt und versucht umzusetzen. Wir waren damals als „Kind“ des ersten deutschen und bayerischen Umweltministeriums in einer Aufbruchinstitution, deren Ziel es war, alle die einzelnen Sektoren wie Forst, Landwirtschaft, Naturschutz vernetzt unter ein Dach zu bringen.
Ich wäre ein Apfelbaum. Ich bin im Juni geboren in der Mitte des Jahres und das ist ja auch der letzte Zeitpunkt, an dem man einen Apfelbaum veredeln kann. Der Apfelbaum liefert Holz, er liefert Früchte, Schatten und er ist eine Kulturbrücke. Seine Urheimat ist das Altaigebirge im Zentralasiatischen Raum. Von dort ist er dann mit den alten Persern, Griechen und den Römern zu uns gekommen. Außerdem ist er auch das Symbol für den Weltapfel. Er ist nicht der Malus (= botanische Bezeichnung, lateinisch für „der Schlechte“). Dies ärgert mich, denn er ist nicht der Schlechte, er ist der Erdapfel. Basta.
Ja, sehr wohl. „Die Welt wird Garten – oder sie wird Schlachtfeld“. Das heißt, wir müssen die Erde kultivieren, sonst endet die Menschheit im Krieg. Denn der Krieg ist die Summe des Kriegen-Wollens, von Bodenschätzen, Wasser und neuerdings wieder verstärkt von fruchtbarem Land. Das will ich nicht. Zumal als Kriegskind setze ich mich für den Frieden, also für den Garten ein. Im Garten kann aus wenig viel gemacht werden, auch viel Lebensfreude – gerade in Corona-Zeiten.
Unsere ganzen gärtnerischen Kulturpflanzen haben Migrationshintergrund. Wir sammeln in unseren Gärten gewissermaßen die besten Ergebnisse aus allen Kulturen weltweit. Daher setzte ich mir die Aufgabe, den neuen Heimatsuchenden, seien es Geflüchtete, Migranten oder auch städtisch, aufgewachte „Grünsucher“, zu helfen, sich hier über die Arbeit im Garten zu verwurzeln. Dies gemäß dem schönen Spruch: „Die Erde ist ein Stern und dieser Stern ist uns gegeben, dass wir ihn aus Ödnis, Wildnis, in den Glanz des Gartens heben“. Diese Veredelung, die dem Menschen im Garten zuteil wird, wenn er sich selbst und die Pflanzen pflegt, ist ein Nährboden für ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben. Ein wechselseitiges Erfolgreichmachen ist gerade jetzt so wichtig, da die Migration, zumal seit 2015 stark in Gang gekommen ist und aufgrund der Klimaprobleme noch stärker werden wird.
Zunächst hatte ich Parzellen von dem von mir gepachteten Stadtgrund vorwiegend an Mitbürger, größtenteils Mütter aus der Stadt gegeben, die mit den Kindern am Spielplatz sind. Ab 2015 wurde der Garten dann internationaler, weil ich mir gedacht habe: „Gibst ihnen die Möglichkeit, dass sie hier wurzeln, also im wahrsten Sinne des Wortes, und nicht bloß die Hände aufhalten müssen um zu sich versorgen“. Sie sollen selbst Würde und Selbstbewusstsein kultivieren können mit dem was sie anbauen und erzeugen. Und umgekehrt können dann die Einheimischen sagen: „Aha, schaugt´s her, de doan wos!“. Und in dem Zusammenhang können die „orientalischen Gartler“ den Unsrigen dann auch sagen: „Wisst ihr schon, wo das Bier her kommt? Vom Land zwischen Euphrat und Tigris, wo Getreide – die erste Gerste gewachsen ist, die heute im „heiligen“ bayerischen Bier verehrt wird!“ Im Weiteren muss es darum gehen wechselseitig Angst abzubauen und dass man den Leuten allenthalben hilft, Heimat zu finden und Wurzeln zu schlagen. Gärten können Frieden stiften, das wusste schon der alte Philosoph Epikur, wenn er sagt: “Aus dem kleinen Freundeskreis des Gartens erwächst die Fähigkeit zur Freundschaft mit der Welt!“
Mittlerweile sind es 10 Nationen die sich hier umtun aus Deutschland, Österreich, Afghanistan, USA, Russland, Frankreich, Nigeria, Eritrea, Syrien, Türkei usw. Wobei es so ist, dass ich je nach der gärtnerischen Fähigkeit und der Pflegeintensität der einzelnen Gartler die Parzellen kleiner oder größer mache. Raum ist hier zu kostbar als dass man die Gartenfläche bloß „verdämmern“ lässt.
Ja, der Said, ein Afghane, der baut auf seiner Parzelle „Gandana“, eine Sonderform der Schnittzwiebel an. Ich bin zwar selbst kein großer Zwiebelfreund, aber es scheint eine echte Entdeckung zu sein. Die Samen hat er aus seiner Heimat mitgebracht. Es gibt diese Zwiebel-Sonderform bei uns so nicht zu kaufen und so gärtnert er hier sehr fleißig und versorgt in Laufen die afghanische Community mit diesem Gandana.
Ich schätze sehr die natürliche Gegebenheit dieses Seen- und Moränenlandes mit dem Gebirgshintergrund, diese wuchtige barocke Landschaft. Wir haben hier Gott sei Dank ein ausgeglichenes Klima, Wärme, Sonne, Regen... Wir sind hier begütert und hoch begünstigt. Wir müssen auf diese Schätze aufpassen, d.h. wir dürfen nicht einfach alles zubauen für die Höchstbietenden und als Wohn- und Gewerbegebiet verschachern, sondern haben diese wunderbare Landschaftsbühne offen zu halten. Weshalb ja viele Leute zum Urlaubmachen ins Berchtesgadener Land und den Rupertiwinkel kommen. Diese hochattraktive Kulturlandschaft darf nicht zum Ausverkauf freigegeben werden. Man geht ja auch nicht zu den Salzburger Festspielen, sitzt und bleibt in der Loge und sagt: „Da gfoids´ma, da bleibi glei, packma aus“. Im guten Sinne darf man sich der Dinge freuen und reist dann wieder nach Hause. Wenn jemand hier aus gutem Grund ansässig geworden ist, dann heißt das, dass er diesen wunderbaren Weltbühnenraum zu schützen, pflegen und gestalten hat, damit er auch für andere schön ist und schön bleibt.
Wenn ich beispielsweise hier auf dieser Gartenhaus-Veranda sitze, ein Buch lese oder wenn wir Musik machen, ist das Genuss pur. Wir hatten hier schon feine kleine Gartenkonzerte, also Erntedankfeste, mit all diesen unterschiedlichen Kulturen, mit Lagerfeuer usw. zelebriert, so dass man sich selbst, die Natur und die Menschen zum Klingen bringen kann. Und Mai-Pfeiferl und Rindenhörner mit den Kindern basteln, das macht Freude und entspannt. Es erwacht Gartenzauber, denn es „schläft ein Lied in allen Dingen, die da leben fort und fort. Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“ (Eichendorf).
Ich würde sagen, mit den Worten von Phil Bosmans: „Wer mit Bäumen reden kann, braucht keinen Psychiater, bloß meinen jene, das Gegenteil sei der Fall“. Das heißt: Mit Pflanzen liebevoll umgehen, mit Umsicht Wachstum spielerisch fördern und nicht mit Giften, mit Verdrängen und Ärger an die Gartenarbeit gehen. Es gilt sich mit möglichst vielem zu befreunden und nicht sein wie die Leute, die sich aufregen, wenn sie in ihrem Rasen Löwenzahn, Gänseblümchen oder anderes entdecken. Sie laufen Gefahr "Rasisten" mit einem „s“ zu werden. Wir brauchen genau das Gegenteil, wir sollten die Buntheit und Biodiversität fördern und keine Monokultur begünstigen. Es gilt - mit Liebe all das heraus zu kitzeln, was in diesem wunderbaren Erdapfel drinsteckt und den kleinen Wurm, der in ihm steckt, zu übersehen.