Tier des Monats
Die Nachtigall – gut getarnte Stimmgewalt

unscheinbarer kleiner Vogel sitzt auf einem Zweig und hat den Schnabel zum Geaang geöffnet

H.-J. Fünfstück/www.5erls-naturfotos.de

„Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“. Julias berühmten Spruch des Shakespeare Dramas `Romeo und Julia´ kennt vermutlich jeder. Und doch ist er – zumindest streng biologisch betrachtet - falsch. Es müsste eigentlich „es war der Nachtigall und nicht der Lercherich“ heißen. Denn es singen ausschließlich die Vogelmännchen. Hauptgrund für die musikalischen Darbietungen ist wie so oft: die Frauen!
No woman, no cry
Bob Marleys bekannter Song in der freien fränkischen Übersetzung „kei Weiber, kei Gschrei“ oder etwas eleganter formuliert „ohne Frauen keinen Gesang“ – trifft bei Vögeln den Kern der Sache. Denn hauptsächlich möchten die Vogelmännchen mit ihrem Gesang ein Weibchen zur gemeinsamen Familiengründung überzeugen. Doch die Damen sind wählerisch. Wie Forschungen zeigen, bevorzugen weibliche Nachtigallen die Hähne, die eine besonders variantenreiche und ausdauernde Gesangdarbietung zeigen. Dies mag auf den ersten Blick oberflächlich erscheinen, ist jedoch ein wichtiges Auswahlkriterium für den gemeinsamen Bruterfolg. Denn ein versierter und variantenreicher Sänger beweist seine Intelligenz, körperliche Fitness und Erfahrung und somit hervorragende Vaterqualitäten zum Versorgen und Schutz der Nachkommen.

Und meine Damen, ganz ehrlich: wir geben uns auch nur mit dem vermeintlich Besten zufrieden. Wenn wir uns entscheiden müssten zwischen dem coolen Typen, der neben Rap und Pop auch Swing und Balladen drauf hat und dazu den berühmten Sixpack aufweist oder dem etwas eintönig trällernden Schmusesänger mit nur einem „pack“ am Bauch – auf wen würde die Wahl fallen? Ehrliche Antwort?… Eben!
Cherchez la femme
Dass die Weibchen aktiv die Partner auswählen und die Herren um die Damen durch Zurschaustellen besonderer Talente und Fähigkeiten konkurrieren, ist in der Natur fast immer die Regel. Der Grund ist eine einfache Nutzen-Kosten-Regel. Weibchen haben höhere „Investitionskosten“ in die Nachkommenschaft. Weibliche Eizellen sind oft begrenzt in der Anzahl, während Spermien kontinuierlich produziert werden können. Auch sind es meist die Weibchen, die einen geeigneten Eiablage- oder Brutplatz finden und „herrichten“ müssen und sich um die Versorgung der Nachkommen kümmern. Dies alles kostet den Weibchen viel Energie – da sollte man den Partner sorgfältig auswählen.
Für die Männchen ist es wichtig, dass ihre Gene in Form von Nachwuchs weitergegeben werden. Damit die Damen sich für sie als Partner entscheiden, müssen die Herren also deutlich machen, dass es sich für die Partnerin „lohnt“, wenn sie sich mit ihm paart. Dies geschieht entweder durch ritualisierte Revierkämpfe, wie z.B. bei Hirschen, durch Präsentieren von buntem auffälligem Gefieder (Bsp. Pfau), oder auffälliger Körpermerkmale (Prachtlibellen) oder durch einen komplexen und variantenreichen Gesang wie bei der Nachtigall.

Gesang der Nachtigall

Unverwechselbar volltönend, hinreißend harmonisch, wehmütig – so vielfältig wie die Beschreibungen ist der Gesang der Nachtigall (Luscinia megarhynchos). Ihr Repertoire umfasst bis zu 260 unterschiedliche Strophenvariationen mit dicht gereihten Doppel- und Einzeltönen, mal ganz zart und leise, dann wieder laut schallend.

Singen ohne Stimmbänder?
Es ist kaum vorstellbar, aber für ihre unverwechselbar volle und komplexe Stimme benötigt die Nachtigall weder Kehlkopf noch Stimmbänder. Die Töne werden im sogenannten Stimmkopf (Syrinx) erzeugt, der am unteren Ende der Luftröhre direkt vor den Verzweigungen der Bronchien liegt. Den Stimmkopf durchziehen elastische Membranen, die durch den Singmuskelapparat gespannt und entspannt werden. Dabei entstehen die Töne - ähnlich dem Prinzip, wenn man aus einem Luftballon durch Anspannen und Lockerlassen der Öffnung die Luft entweichen lässt. Auch spielt die Länge der anschließenden Luftröhre für die Tonfrequenz eine wichtige Rolle. Vögel können die durch Muskel verbundenen Knorpelringe der Luftröhre um einen gewissen Grad aktiv zusammenziehen - so entstehen höhere Tonlagen. Als weitere Besonderheit sind die beiden Bronchialäste unabhängig voneinander verschließbar. So sind zum einen zweistimmige Gesänge durch ein Individuum möglich, zum anderen kann der Vogel ohne wahrnehmbare Unterbrechung zum nötigen Luftholen minutenlang singen.
Übrigens – auch Vögel müssen ihren Gesang üben. Damit zur Paarungszeit die Stimme weithin zu hören ist, trainieren Vogelmännchen ihre Stimmmuskulatur, die sich nach der Paarungszeit teilweise zurückbildet. Dies kann man im ausgehenden Winter beobachten, bzw. erlauschen. Oftmals ertönt aus einem Baum leiser Amselgesang - der betreffende Amselhahn betreibt Gesangstraining.

Ich höre was, was Du nicht siehst
Viel Geduld ist gefragt, wenn es um das Beobachten von Nachtigallen geht. Es ist schier zum Verzweifeln. Aus der Hecke direkt vor einem schallt der Gesang lautstark heraus. Der Sänger muss eigentlich ganz nah sein…und doch ist er nicht zu sehen. Mit ihrem braunen Rücken- und Flügelgefieder und der hellgrauen Brust sind Nachtigallen in ihren Heckenverstecken kaum auszumachen. Da muss man schon auf eine Bewegung des Tieres warten oder darauf hoffen, dass sich der Sänger doch vielleicht auf einem einsehbaren Ast niederlässt. Ähnlich gut getarnt ist das napfartige Nest, das meist direkt auf oder kurz über dem Boden im Halbschatten angelegt wird.

Für die Ansiedlung von Nachtigallen ist die Vegetationsstruktur der Umgebung entscheidend. Hecken oder dichter Unterwuchs mit einer Bodenschicht aus altem Laub sind ideale Plätze für Nachtigallen. Dort können sie bodennah und gut versteckt ihr Nest an einem schattigen Platz anlegen. In der dichten Vegetation der Hecken und Stauden findet sich dann auch genug Nahrung für die hungrigen Jungschnäbel.

In naturnahen Weinbergen mit Hecken und Brachflächen mit einer dichten Kraut- und Staudenschicht als Saumstrukturen siedelt sich die Nachtigall sehr gerne an. Lauschen Sie mal, ob sie ihren Gesang vernehmen können…

Nebenbei können Sie damit auch etwas für die Wissenschaft tun. Seit 2019 gibt es eine kostenfreie Smartphone-App („Naturblick“), mit der sie anonym Vogelgesänge aufnehmen und in die Datenbank des Projekts hochladen können. Da sich der Lebensraum der Nachtigall durch Heckenrodungen in vielen Regionen verschlechtert hat, haben sich ihre Bestände erheblich reduziert. Mit Ihren Daten können Sie mithelfen, den Lebensraum der Nachtigall zu sichern. Ohren auf!